Eine der Tassen im Büro trägt die Aufschrift „Wer Sonne in das Herz eines Anderen scheinen lässt, bekommt selbst einige Strahlen zurück“. Oder so ähnlich. Irgendwas mit Sonne jedenfalls. Wie das Sprichwort „Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“, nur eben im positiven Sinne. Es bedeutet so viel wie: Wie ich jemand anderem begegne, so wird mir begegnet. Oder: Wenn ich selbst zu jemandem freundlich bin, freut der sich so sehr, dass er zu mir auch freundlich ist. So in etwa erkläre ich den Vers den Fünfjährigen, die mit mir am Tisch sitzen und in meine Kaffeetasse gucken und verkünden wollen, dass der „iieh ekelich“ riecht. Mal wieder ist Obstfrühstückszeit – ich weiß, so manch einer mag denken, wir seien den ganzen Tag nur mit Essen essen beschäftigt. (Die meisten wissen jedoch bereits, dass es noch Vieles mehr gibt, das wir tun: Hände waschen und herumgucken und so.) Zurück zur Erklärstunde. Manchmal ist meine Intention, mitten in ein wenig sinnhaftes Gespräch (wie z.B. „DU PLÖDIAN!“ – „DU PUPSEPUPS!“ – „NEIN, DU BIST SELBST EIN PUPSEPUPS!“…) oder in eine sich im Gesicht eines Kindes anbahnende Gemeinheitshandlung* hinein ein Ablenkmanöver zu starten. Das heißt, ich weise dann gern ganz begeistert auf irgendetwas hin, und wenn es klappt, vergessen sie darüber, wen sie eben noch alles als PUPSEPUPSE hatten betiteln wollen. Gelegentlich dient dieses Ablenkungsmanöver als feine Alternative zum verbalen pädagogischen Eingreifen in Form von Tadeln oder Stop-Sagen oder dem wiederholten Thematisieren, wie wir doch bitteschön miteinander umgehen und Gemeinsein umgehen wollen. Diesmal klappt es jedenfalls hervorragend, Lara und Martin gucken auf die wundersame Schrift auf meiner Tasse und strecken mir nahezu gleichzeitig eine Weintraube und ein halb angekautes Apfelstück entgegen. „Für dich, liebe Damari!“ Hach, geht mein Herz auf über diese kleinen Wunder, die, anstatt dass ich sie wegen Streitereien umsetzen muss, das neu Gelernte gleich umsetzen.
[*Gemeinheitshandlung, eine sich im Gesicht eines Kindes anbahnende:
Dem Kind ist anzusehen, dass ihm der Klaus über den Kleber gelaufen ist. Und sobald der klebrige Klaus losläuft, hinterlässt er da Spuren, wo keine sein sollen. Das ist blöd, der Klaus muss raus, und darum denkt sich das Kind jetzt auch was Blödes aus.]
Kinder sind in ihren Gemütszuständen und dem Wechsel der jeweiligen Stimmungslagen bekanntlich so fix und überraschend unterwegs wie das Aprilwetter, das wir gerade haben. Da wechseln sich Grummelpeter mit Strahlekind und Träumerle mit Wüterich und Dramakönigin mit Witzbold schneller ab, als man Ätschebätsche sagen kann. Mal ehrlich, ist es bei uns Erwachsenen so sehr anders? Vielleicht zeigen wir es einfach nur nicht so, haben gelernt, es zu verbergen, zu kontrollieren. Je nach Länge der Zündschnur explodiert man schnell oder langsam. Ich möchte langsam zum Zorn sein und voller Güte. Das muss ich des Öfteren vor mir hersagen, ganz bewusst. Denn womit sich ein Mensch beschäftigt, das wird ihn einnehmen.
Als ich zum Vespern wenigstens nach einer halben Stunde zwei Drittel der Kinder an die Tische bugsiert bekommen habe, ist mein Geduldswollfaden bereits fast aufgebraucht. Eines der Mädchen, das ganz herrlich lange geschlafen und dementsprechend lange gebraucht hatte auf dem Rückweg vom Schlafland, träumt und döst noch und schleicht langsam, gaaanz langsam, vom Bechertablett zum freien Platz. „Eeeerst den Becher abstellen, dann kannst du dir ein Wurstbrot holen kommen.“, sage ich. Denn ohne Becher geht es besser. RUNKS. Da hat sie wohl den Becher zu spät losgelassen, er liegt auf dem Boden. Neuer Versuch, den Becher auf den Platz zu stellen. RUNKS. Wieder daneben. Ich atme tief ein. Na, wer sagt’s denn – beim dritten Mal landet er tatsächlich auf dem Tisch. „Iiich will mit alles.“, verkündet sie, als sie vor mir steht. Ich gebe ihr das Wurstbrot, aber sie möchte „doch NEIN, kein Fleisch drauf“ haben. Währenddessen bekommen am anderen Tisch Tee- und Wasserkanne auf einmal Beine. Linus hatte deren Henkel in seinen Trinkbecher eingehakt und zuckelt nun damit ganz fasziniert über den Tisch. Vor meinem inneren Auge sehe ich schon riesige Pfützen auf Tisch und Stuhl und Boden und Gustav und muss das unbedingt verhindern. Gustav hat nämlich kein Wechselshirt mehr, da Linus ihn bereits während der vorigen Mahlzeit mit einer Wasserkanne übergossen hatte. Leise hebe ich die geangelten Kannen aus dem Becher und stelle sie ebenso leise vor Linus ab. Noch leiser setze ich Linus darüber in Kenntnis, dass mein Geduldswollfaden fast aufgebraucht ist und er bitte das Wasser nur zum selber Trinken benutzen solle.
An dieser Stelle bringt ein Donnerwetter keine gewünschtere Wirkung, nur weil ich mein Anliegen eben mit umso mehr Lautstärke vorbringe. Ich bin sicher nicht die Einzige, bei der sich innerlich, durch Stress und zu viele Schrei- und Kreischwettkämpfe verursacht, alles zu einem Gewitter zusammenziehen kann und man jeden Moment anfangen könnte, laut drauflos zu poltern, um seinen Emotionen Luft zu machen. Dann denke ich: MIR IST JETZT AUCH MAL NACH HERUMPÖBELN! Es ist eine wirklich hohe Kunst, ebendieses Gefühlsgewitter nicht nach draußen zu exportieren und nein, ich beherrsche sie auch noch nicht. Die Kinder allerdings stehen noch völlig am Anfang oder sind mittendrin im Entwickeln einer gesunden Emotionsregulierung. Es ist wichtig, sie darin zu unterstützen, dass, JA, alle Gefühle ihre Berechtigung haben und diese ernst zu nehmen. Und dann weiter, ihnen zu helfen, diese Emotionen in gesunde Bahnen zu lenken, damit umgehen zu lernen. Für uns Erwachsene bedeutet das NICHT, dass wir nie gestresst sein, keine Wut oder Ungeduld empfinden dürfen. Aber das Bewusstsein zu haben, dass wir bereits lernen durften (oder besser wissen, wie wir es lernen können), das innere Donnergrollen nach außen hin zu dämpfen und einen Lautstärkeregler einzubauen. Faszinierend finde ich, dass man selber ruhiger wird, wenn man in einer Extremstresssituation EXTRA ruhig reagiert. Einatmen und ausatmen hilft. Wenn die Kanne – schwupps – einmal umgekippt ist, ist es sowieso zu spät, da hat man also auch noch Zeit zum Luftholen😉 Das Gewitter flaut ab, die Wolken verziehen sich und schwupps, dann scheint die Sonne auch ein bisschen für dich.
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